Zu einer öffentlichen Ortsvereinsversammlung hatte der SPD-Ortsverein Rheinkamp am 04.05.06 in die AWO-Begegnungsstätte an der Waldenburger Straße eingeladen.
Gleich zwei Bundestagsabgeordnete stellten sich dem heißen Thema „Rente ab 67?“. Siegmund Ehrmann hatte als Verstärkung Rolf Stöckl mitgebracht, Chef der SPD-Landesgruppe NRW im Bundestag, Sprecher der Arbeitsgruppe „Verteilungsgerechtigkeit“, selbst aktiv Mitwirkender bei den anstehenden Reformen des Rentensystems.
Den Part der Betroffenenseite vertrat Robert Walter, Geschäftsführer des VdK für den gesamten Niederrhein mit mehr als 13.000 Mitgliedern.
Rolf Stöckel stellte die Notwendigkeit heraus, die sozialen Systeme angesichts der wirtschaftlichen und demografischen Entwicklungen zu reformieren, musste aber einräumen, dass sozialdemokratische Positionen nicht immer eins zu eins umgesetzt werden konnten. Viel zu lange seien die unabdingbaren Reformen hinausgezögert worden. Inzwischen fließen 80 Milliarden Euro – das ist 1/3 des gesamten Bundeshaushaltes in die Rentenfinanzierung. „Wer gesagt hat und sagt: Die Renten sind sicher – der lügt.“ Rolf Stöckel forderte auf, nicht ständig die „typisch deutsche Negativdebatte“ zu führen, sondern die Chancen des gesellschaftlichen Wandels zu sehen und aktiv positiv mitzugestalten. Weil die Rentenentwicklung auch künftig abhängig sein wird von der Lohnentwicklung und die Menschen länger leben und die Rentenbezugsdauer steigt, ist trotz der vereinbarten Nullrunden mit einer realen Kürzung der Renten und einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu rechnen. Erforderlich ist an erster Stelle, mehr Beschäftigung für über 55-jährige zu schaffen, flexiblere Übergänge vom Arbeitsleben in die Rente zu ermöglichen und vor allem Regelungen für Menschen aus besonders schweren und belastenden Berufen zu treffen.
Robert Walter sieht auch keinen Weg an einer Reform des Rentensystems vorbei: „die Rente ab 67 ist unausweichlich.“. Für ihn stellt sich aber die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt und der richtigen Schrittfolge der notwendigen Reformen. Er vermisst Ehrlichkeit in der Debatte gegenüber den Bürgern. „Die Bundesregierung muss zuerst dafür sorgen, dass Menschen auch bis 67 arbeiten können!“ In seiner Beratungstätigkeit erlebt er täglich den sozialen Abstieg als Folge der bisherigen Reformen durch „Hartz IV“. Zuerst müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit auch ältere Arbeitnehmer länger in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung sein können, bevor eine grundlegende Systemveränderung vorgenommen wird. „Soziale Gerechtigkeit ist so nicht erreichbar“, meint der VdK-Geschäftsführer.
Die Statements der Fachleute lieferten ausreichend Stoff führ eine z.T. heftige und kritische Diskussion. Gefordert wurde vor allem mehr Ehrlichkeit und Verteilungsgerechtigkeit. Die Bürger sind bereit, die Reformen mit zu tragen, wollen aber ehrlich gesagt bekommen, was auf sie zukommt. Die „Sandwich-Generation“ der 50-jährigen fühlt sich besonders gebeutelt: Zu alt, um noch vernünftig Vorsorge für das Rentenalter zu treffen, gleichzeitig durch z.B. die Ausbildungskosten für Kinder besonders finanziell belastet und aktiver Einzahler in die Rentekasse, ohne Chance für einen „flexiblen“ Übergang in die Rente. Ältere besetzen die Arbeitsplätze, die unsere Kinder dringend brauchen.
Rolf Stöckel und Siegmund Ehrmann hatten es nicht leicht, Gegenargumente zu finden, versicherten aber, dass die Debatte über Belastungsgerechtigkeit, Generationengerechtigkeit und Ehrlichkeit in der SPD-Fraktion derzeit intensiv geführt wird. Zur Frage der Ehrlichkeit machte Siegmund Ehrmann deutlich, dass es auf allen Ebenen Verzichte geben muss – auch bei den Rentnern.
Schnell wurde klar, dass die Rentendiskussion nicht isoliert geführt werden kann. Fragen der Reform des Bildungs- und Ausbildungssystems, der Entwicklung des Gesundheitssystems, der Pflegeversicherung und letztlich des Abbaus von Sozialleistungen angesichts der steigenden Gewinne der Unternehmen stellen sich in diesem Zusammenhang.
So musste Siegmund Ehrmann auf die Frage einer Genossin, wo denn das ganze Geld bleibe, das die Bürger mehr in die Systeme einzahlen, einräumen, keine Lösung zu wissen. Er sieht gleichfalls ohnmächtig, dass es keine politischen Instrumentarien gibt, das global vagabundierende Kapital dem Grundgesetz entsprechend sozial verpflichtend zu binden.
Für viele der grundlegenden Forderungen der SPD zur strukturellen Veränderung der Systeme gibt es in der großen Koalition derzeit keine Mehrheiten, unterstrich Rolf Stöckel.
Der OV-Vorsitzende Peter Kiehlmann konnte nach mehr als zweistündiger kritischer Diskussion als Fazit ziehen, dass das Thema „Rente ab 67“ im Rahmen einer Debatte über gesamtgesellschaftliche Veränderungen weiter geführt werden muss. Flexible Systeme müssen geschaffen werden, die es den Menschen ermöglichen, ohne sozialen Abstieg auch bis 67 zu arbeiten. „Wenn es gerecht zugeht, wenn die Reformen in diesem Sinne vernünftig, solidarisch und nicht nur auf Kosten der Beitragszahler umgesetzt werden, sind die Bürger bereit zu verzichten.“.